Über 90 Jahre Berufserfahrung

Die Polsterei Götze findet man auf einem Hof in der Pichelsdorfer

Die Remise ist winzig, nicht viel größer als ein durchschnittliches Wohnzimmer. Der kleine Holzbau ist dunkelrot gestrichen, die Türklinke wenig mehr als ein Haken aus Metall. Passanten können die verborgene Remise auf dem Hinterhof der Pichelsdorfer Straße 137 nicht bemerken. Wer hierherkommt, kommt ganz gezielt: Zur Polsterei Götze.

Karl-Heinz Götze hat eine kleine Lederschürze umgebunden, er – ein Spandauer Urgestein – arbeitet schon seit 1958 in der Werkstatt. Hier hat er als Lehrling angefangen, das Geschäft übernahm er schließlich 1986 als Polster- und Sattlermeister von seinem Vorgänger; damals brauchte man noch den Meisterbrief. Heute arbeitet er mit seinem jüngeren Kollegen und Nachfolger Jörg Motzkau hier, der ist seit 1980 Polsterer und seit 2012 auch der Geschäftsinhaber; Karl-Heinz Götze hat ihm den Betrieb übertragen, weil er selbst in absehbarer Zeit in Rente gehen möchte. 57 Jahre sind ein langes Berufsleben.

Für beide war es zunächst nicht unbedingt ein Traumberuf – doch Lehrstellen waren zu beider Jugendzeiten knapp, die Berufswahl kein Wunschkonzert, man war froh über einen Ausbildungsplatz. Heute sind beide stolz darauf, ihr Handwerk von der Pike auf gelernt zu haben und ihren Kunden hohe Qualität zu garantieren. Immerhin haben beide zusammengerechnet über 90 Jahre Berufserfahrung.

Viele Sitzgelegenheiten gibt es hier nicht, und die, die es gibt, sind sozusagen Werkstücke, die Kunden zum Neupolstern und -beziehen gebracht haben. Jörg Motzkau steht neben einem antiken Sessel mit Armlehnen, das Polster ist mit einem edlen weinroten Stoff, durchwirkt mit satinglänzenden weinroten Streifen, frisch bezogen. Karl-Heinz Götze steht vor drei schmalen Tischen mit Industrienähmaschinen, neben sich einen Sessel, der gerade bis auf die Polster zerlegt wurde. Auf einem weiteren alten Armlehnstuhl, dessen Sitz noch mit braunem Leder bezogen ist, liegen Proben für den Neubezug: Lederstücke in creme und knallrot. Die Kundin, sagt Motzkau, hat einen neuen Teppich, zu dem das Braun nicht mehr passe, jetzt kann sie wählen zwischen neuen Farben. Was nicht ganz leicht ist, denn hinter Motzkau stehen in einem Regal ca. 120 Musterbücher mit über 1000 Stoffproben aller möglicher Farben und Materialien. Da ist fachkundige Beratung entscheidend. »Viele Kunden«, sagt Meister Götze, »fragen immer noch nach Baumwolle. Aber Baumwolle ist hoch überschätzt, nicht nur in der Haltbarkeit, sondern auch in der Umweltbilanz.«

Dass die Remise von der Straßenseite aus kaum zu erahnen ist und nur ein schlichtes Schild auf die Polsterei hinweist, stört beide nicht. »Wir leben ja nicht von Laufkundschaft. Wir haben etliche Stammkunden, meist ältere Leute. Manche kommen seit Jahrzehnten. Die haben sich meist für gutes Geld solide, langlebige Möbel angeschafft und möchten sie auch gern lange behalten – das ist ihnen die Sache wert.« Hinzu kommt der Service: Sie holen ab´und liefern zurück, eine Sitzgarnitur mit zwei Sesseln und Couch etwa dauert gerade mal von Montag bis Freitag.

Angst vor Konkurrenz müssen sie nicht haben, schon gar nicht von Möbeldiscountern. »Da kann man zwar billig neue Möbel kaufen, die sind aber nach zwei Jahren kaputt, dann müssen wieder neue gekauft werden. Und in den riesigen Verkaufshallen wirkt das Mobiliar zunächst nicht so massiv – aber wenn die Leute das dann zu Hause aufstellen, sieht das schon ganz anders aus.«

Etwas wehmütig wird Götze allerdings, wenn er feststellt, dass es inzwischen kaum noch Polstereibetriebe in Spandau gibt, wo es früher wohl zehn oder zwölf Polstereien gab. »Früher gab es hier viele kleine Läden und Betriebe. Und in den 60er Jahren war die Pichelsdorfer eine Einkaufsstraße vom Feinsten. Doch dann ging es mit der Wilhelmstadt langsam bergab.«

Den Polstereibetrieb in der Remise gibt es inzwischen wohl schon fast hundert Jahre, und vergnügt erzählt Götze, was hier schon alles gefertigt wurde: von Markisen über Bestuhlungen für Schiffe bis hin zu Cabrio-Verdecken – wenn so ein Cabrio in der Remise stand, war die freilich auch voll.

Karl-Heinz Götze weiß auch einiges über die Geschichte des Grundstücks: Vor über hundert Jahren muss sich auf dem vorderen Grundstücksteil ein Lokal befunden haben, das »Gasthaus Duksch«, und auf dem Hof – dort, wo die jetzt die Remise steht – eine dazu gehörige Kegelbahn. Danach, so erzählt es Karl-Heinz Götze, wurde die ursprüngliche einstöckige Bebauung an der Pichelsdorfer um die Jahrhundertwende, ca. 1900, abgerissen und durch ein mehrstöckiges Mietshaus ersetzt. Auf dem Hof entstand die Remise als Pferdestall, bis später daraus eine Sattlerei wurde – sozusagen der Ursprung der Polsterei Götze.

Wenn man vor der Remise steht, kann man sich gut vorstellen, wie früher hier die Pferde durch die beiden Tore in den Stall geführt wurden.

»Irgendwo«, sagt Meister Götze, »habe ich hier auch noch ein altes Schild, das früher vorn im Hauseingang hing. Darauf steht ›Ducksche Erben‹.«

Und irgendwie freut man sich mit den beiden, dass hier mit der Remise und der Polsterei auch ein Stück Wilhelmstädter Geschichte weiterlebt.

Ulrike Steglich – Wilhelmstädter Magazin, Nr. 1/2015, Februar 2015

 

Polsterei Götze, Pichelsdorfer Straße 137, Tel. 030-331 81 37, www.polsterei-spandau.de

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