Patchwork, Kreativität und Kommunikation

Das neue »Quiltkorb« in der Adamstraße ist mehr als nur ein Geschäft

Manchmal, wenn Susann Fischer-Popiel abends von der Arbeit kam und keine Lust hatte zu kochen, lief sie durch die Adamstraße, weil es dort ein Döner-Restaurant gibt, das auch prima vegetarische Gerichte anbietet. Immer wieder sah sie auf dem Weg dorthin den ehemaligen Optiker-Laden, in dem wellenförmige Folien mit dem Logo »Wilhelmstadt bewegt« signalisierten, dass der Laden leer steht und angemietet werden kann.

Seit kurzem sieht man nun im Schaufenster statt der Folie phantasievolle Patchwork und Quiltarbeiten, darunter – passend zur Jahreszeit – auch selbstgenähte Weihnachtskalender: Mitte November eröffnete Susann Fischer-Popiel hier ihr erstes eigenes Geschäft, den »Quiltkorb«. Und die lange geschlossene Ladentür steht nicht mehr still: Ständig kommen Besucher herein, oft Bekannte oder Kursteilnehmerinnen, sie umarmen Susann Fischer-Popiel, stellen kleine Mitbringsel auf den Tisch, trinken gern eine Tasse Tee mit, suchen passende Stoffe oder Reißverschlüsse oder einen Rat für ihre Handarbeiten. Susann Fischer-Popiel ist also immer in Bewegung, und das mit ausgesprochen guter Laune.

Dazu gibt es auch allen Grund. Denn das neue Geschäft in der Adamstraße ist bezaubernd ungewöhnlich und einladend gemütlich: im Laden hängen zahlreiche Stoffmuster, geordnet nach Farben, Material und Motiven, außerdem Beispiele kreativer Nähkunst: Taschen, QuiltDecken, Etuis, Stofftiere …

Man kann hier durchaus fertige Produkte kaufen, aber vor allem auch Zubehör für die eigene Handarbeit. Eine Hauptrolle spielen die Näh-, Patchwork- und Quiltkurse, die Susann Fischer-Popiel schon seit Jahren anbietet – nun erstmals im eigenen Laden. »Das ist wie ein kleines Wunder. Mit jedem Morgen, an dem ich die Tür aufschließe«, sagt sie, »fühle ich mich hier mehr zu Hause.«

Die Erfurterin ist das, was man »geerdet« nennt: praktisch veranlagt, mit beiden Beinen im Leben stehend. Mit ihrer offenen, fröhlichen, unkomplizierten und warmherzigen Art strahlt sie ansteckende Lebensenergie aus. »Man muss immer etwas haben, worauf man sich freuen kann« und »Für jedes Problem gibt es eine Lösung« sind zwei ihrer Lebensmaximen – nicht nur beim Nähen.

In der DDR hatte sie als gelernte Herrenmaßschneiderin gearbeitet, doch »nach der Wende war das für den Markt ja völlig uninteressant«, sagt sie. Die Leute kauften ihre Garderobe nun bei großen Ketten, genäht wurde jetzt in China oder Indien. Susann Fischer-Popiel sattelte um, machte einen Abschluss als Physiotherapeutin und ging schon 1990 in die Selbstständigkeit. Das Nähen blieb ihr Hobby. Eher per Zufall entdeckte sie dann das Quilten (»quilt«: engl. für Steppdecke, steppen), eine dem Patchwork verwandte, ursprünglich aus China stammende Technik, mit der Decken, Wandbehänge, aber auch Kleidung und Accessoires hergestellt werden. Bei der künstlerischen Gestaltung mit unterschiedlichen Mustern, Farben, Stoffen sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Genäht wird sowohl mit der Maschine als auch von Hand. Ein gediegener Wandteppich kann schon mal bis zu einem Jahr Arbeit bedeuten.

»Als ich die erste PatchworkZeitschrift entdeckte, war’s passiert. Wenn man einmal damit anfängt …«, lacht Susann Fischer-Popiel. Bald begann sie, an unterschiedlichen Orten Kurse zu geben – bis sie beschloss, wieder etwas Neues zu beginnen: mit ihrem ersten eigenen Laden.

Der Umbau der Räume in nur fünf Wochen war in jeder Hinsicht ein enormer Kraftakt: Bei den Arbeiten fanden sie u.a. Zeitungstapeten von 1939. Auch finanziell war die Familie auf sich gestellt, denn »keine Bank würde so etwas finanzieren«, sagt sie. »Ohne die große Unterstützung der Familie und vieler Freunde hätten wir das nicht geschafft.« Und: »Das größte ›Kapital‹ sind ohnehin die treuen Kunden, die mir hierher gefolgt sind.« Ihre offenen Kurse sind inzwischen mit ca. 100 Teilnehmern bis Weihnachten fast ausgebucht.

Handarbeiten wie Nähen, Stricken oder Quilten, aber auch Initiativen wie RepairCafés erleben seit einigen Jahren ein Revival – eine Art Gegenbewegung zur Massenwarenwelt und Wegwerfgesellschaft, zur immer stärkeren Beschleunigung. Susann Fischer- Popiel sieht in der Nachfrage und im Erfolg ihrer Kurse auch wesentliche gesellschaftliche und soziale Gründe: »Viele leben allein, und hier entstehen neue soziale Kontakte und Kommunikation. Bei kreativer Arbeit tauscht man sich aus, hilft sich gegenseitig, auch im Alltag. Und gerade Frauen sind sehr solidarisch.«

Den Ort findet Susann Fischer-Popiel ideal: »Wir sind ja kein Geschenkartikelladen, der von Laufkundschaft lebt und unbedingt in Berlin-Mitte teure Mieten zahlen muss.«

Die Adamstraße schätzt sie nicht nur wegen der freien Parkplätze für ihre Kursbesucher, sondern vor allem wegen des schönen Blicks auf den Földerichplatz gegenüber – und wegen der freundlichen Nachbarn.

In der Tat entwickelt sich hier allmählich wieder eine besondere Landschaft kleiner individueller Geschäfte, die auch an die Handwerkstraditionen der Wilhelmstadt anknüpfen: Da sind der Hutmacherladen, das neue Obst- und Gemüsegeschäft mit italienischen Spezialitäten, das »Blümchen«, der Laden mit erzgebirgischer Handwerkskunst, der Schuhmachermeister um die Ecke in der Pichelsdorfer … Und der »Quiltkorb« ist da eine hochwillkommene Bereicherung.

Ulrike Steglich – Wilhelmstädter Magazin, Nr 6. Dezember 2014
»Quiltkorb«, Adamstraße 13, Tel./Fax: 030.39 83 19 41
Öffnungszeiten: Mo, Do, Fr 10–13 und 15–18 Uhr, Sa 10–13 Uhr, Di + Mi geschlossen (wegen Kursen)
Mehr zu den Angeboten und Kursen im Internet unter: www.quiltkorb.de oder direkt im Laden

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