In Spandau ist alles sehr familiär

Aber es fehlt noch einiges, findet Bayram Tokuc, der Inhaber des Cafés »Sofra Simit Evi«.

Wer sich noch vor einem halben Jahr die Wartezeit an der Bushaltestelle Klosterstraße/Ecke Borkumer Straße mit Schaufenstergucken vertreiben wollte, fand nicht viel: einen Späti- Kiosk, die Auslagen eines Juweliers und im Eckladen mit Textilien eher grelle Leggings und Schuhe. Dann war man froh, wenn der Bus bald kam. Seit Februar des Jahres sieht das anders aus: Jetzt steht man eher vor der Frage, ob man nicht lieber einen oder zwei Busse sausen lässt, um ins »Sofra Simit Evi« einzukehren oder dort wenigstens etwas frisches süßes Gebäck oder ein belegtes Baguette und einen frisch gepressten Obstsaft mitzunehmen. Die Verlockung ist groß.

Besucht man das neue Frühstücks- und Tagescafé »Sofra Simit Evi« an der Ecke Borkumer/ Klosterstraße, bringt man am besten gute Freunde, Familie und etwas mehr Zeit mit. Denn es gibt neben vielfältigen Frühstückskombinationen auch sehr leckere warme Gerichte – aber eigentlich ist der Übergang fließend: Eiergerichte in vielen Variationen, Sucuk (die türkische Rindswurstspezialität), Konfitüre und Honig, guter Käse, Tomaten, Oliven, Salatspezialitäten, frische Aufstriche, belegte Toasts gehören ebenso dazu wie warme vegetarische oder Fleischgerichte – alles nach türkischer Art. Und natürlich dürfen die Simit nicht fehlen, die beliebten türkischen Sesam- Brotkringel. Wer aber lieber Berliner Brötchen mag, bekommt auch diese: Das ist türkisch-deutsche Kooperation. Und wer Appetit auf Desserts verspürt, hat die Qual der Wahl zwischen ganz frischen, appetitlichen Torten und Kuchen sowie türkischen Leckereien – am besten zu einem original türkischen Chai (Tee) oder Kaffee.

Bayram Tokuc, der Inhaber des »Sofra Simit Evi«, ist ein bescheidener Mann, dennoch ist der Stolz auf sein neues Café spürbar. 1986 kam er nach Deutschland und wurde Handelskaufmann. In Spandau betrieb er zunächst ab 2007 einen Haushaltswarenladen (»das fehlte hier«), dann den Textilladen an der Ecke Klosterstraße. Aber Textilläden in dieser Mini-Größenordnung funktionieren nicht mehr, zumal es in den Spandau Arcaden überwältigende Konkurrenz gibt. Also überlegte Bayram Tokuc, der Handelsfachmann, was ihm in Spandau, insbesondere in der Wilhelmstadt, wo er seit zwei Jahren auch wohnt, besonders fehlte. »Eigentlich fehlt hier so vieles, also kann man auch fast alles hier machen«, sagt er und lächelt. Vor allem aber vermisste er jene gepflegte Café- und Restaurantkultur, wie er sie aus der Türkei kennt.

Ein Café, in dem man lange und gemütlich sitzen und reden, gut essen und genießen kann. Besonderen Wert legt Tokuc darauf, dass hier alles frisch in eigener Produktion gemacht wird – keine Tiefkühlware wie in anderen Cafés oder Backshops.

Der Anfang war schwer, aber inzwischen läuft es ganz gut: Hier sitzen türkische Frauen mit ihren Kindern neben deutschen Pärchen oder Bauarbeitern, die gerade Mittagspause machen. Und der Tipp spricht sich herum, nicht zuletzt, weil der Service so zuvorkommend ist.In den Umbau der Ladenräume hat Bayram Tokuc einiges investiert – das Resultat ist ausgesprochen einladend. Bei schönem Wetter kann man auch draußen unter den roten Markisen entlang der Borkumer Straße sitzen. Eigentlich hätte Tokuc auch gern ein richtiges Restaurant eröffnet, so wie er es aus der Türkei kennt und schätzt – aber das gaben die Räumlichkeiten und die zahlreichen Ämterauflagen nicht her. Nun ist es also ein Café, das von 8 bis 20 Uhr geöffnet hat.

»Ich hätte gern auch bis 22 Uhr geöffnet, aber das funktioniert hier nicht. In Spandau gibt es kein Abendleben auf den Straßen. Nach 18 Uhr, spätestens 20 Uhr ist hier kaum noch jemand unterwegs. Die Menschen hier mögen ihre Gewohnheiten nicht ändern.« Kein Vergleich mit Istanbul, wo noch bis lang in die Nacht viele Menschen die Straßen beleben. Spandau, sagt Tokuc, ziehe noch zu wenig Menschen aus anderen Bezirken an, »es gibt hier auch keine Touristen, weil Anziehungspunkte fehlen. Neulich hatten wir Besuch aus Westdeutschland, und wir konnten ihnen eigentlich nichts Wesentliches zeigen außer der Zitadelle.«

Freilich, sagt Tokuc, ist Spandau auch ein sehr großer Bezirk. »Hier leben die Menschen teils sehr verstreut, gerade in den Vororten, wie in Dörfern. Man ist sehr unter sich. Andererseits ist es dadurch auch sehr familiär – hier kennt jeder jeden wie in einer Kleinstadt, und die Gespräche sind wärmer, vertrauter.« Da drüben, sagt Bayram Tokuc und meint damit das Berliner Zentrum, wo er auch eine Weile gelebt hat, nämlich in Neukölln, da drüben also sei alles viel anonymer. Hier aber kann er fast jeden  persönlich begrüßen, und das findet er schön.

Ulrike Steglich – Wilhelmstädter Magazin 04/2015, Juli/ August 2015

Sofra Simit Evi, Klosterstraße 6/7, Tel.: 030.330 960 99,
Offnungzeiten: täglich 8 – 20 Uhr, http://sofra-berlin.de/

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