Die ganze Vielfalt

Kopieren, Drucken, Binden: Michael Götzes »Copyshop Spandau« feierte in diesem Jahr sein 30-jähriges Jubiläum

Über mangelnde Aufträge können sich Michael Götze und seine fünf Mitarbeiter wirklich nicht beschweren. Die kleinen Ladenräume des »Copyshop Spandau« in der Sedanstraße sind auch an diesem Donnerstag gut besucht, eine kleine Warteschlange hat sich gebildet, und das liegt nicht am Regen draußen. Seit 1987 gibt es das Geschäft hier, das rund um Drucken, Kopieren, Binden noch viele andere Dienstleistungen anbietet: »Das reicht vom Bedrucken von T-Shirts, Tassen oder Schlüsselbändern über Laminieren bis hin zum Großformatdruck von Bauplänen. Im Sommer waren wieder viele Studenten da, die ihre Bachelor- und Masterarbeiten drucken und binden ließen«, erzählt Michael Götze.

Weil es im Ladenraum so betriebsam ist, bittet der 62-Jährige in den hinteren Arbeitsraum, der vollgestopft ist mit allen möglichen Maschinen. Auf dem Tisch liegt gerade ein T-Shirt mit der frisch gedruckten Aufschrift ÄNDE – das ist jenes kleine Wilhelmstädter Start-Up, das in diesem Jahr zwei alkoholfreie Ginger-Beer-Sorten auf den Markt gebracht hat. Der Copyshop (der vorher »Kopierzentrum Spandau« hieß) ist eben lokal stark verwurzelt. Und seit die Firma Hoppe aus der Altstadt nach Wedding gezogen ist, um sich ganz auf Baupläne zu spezialisieren, kommen auch Hoppes frühere Kunden hierher, Götze hat deshalb zwei zusätzliche Mitarbeiter eingestellt.
Eigentlich platzen die Räume in der Sedanstraße inzwischen aus allen Nähten, aber an einen Umzug denkt Götze nicht – die Lage ist ideal, weil zentral, die Adresse ist eingeführt. Und außerdem sind die Parkplätze draußen von Vorteil: »Die 15-Minuten-Brötchentaste an der Parkuhr ist sehr praktisch für Kunden.«
Er wohnt seit 1981 in der Schulzenstraße. Dorthin zog er, nachdem er von seinem vorherigen Arbeitgeber entlassen wurde. Das war 1980, im Zuge des großen Eisenbahn-Streiks in Westberlin. In seinem ersten Berufsleben war Michael Götze nämlich Fernmeldeelektroniker bei der Deutschen Reichsbahn (DR), und die war in der geteilten Stadt kompliziert organisiert. Denn die DR war ein DDR-Unternehmen, das freilich auch nach dem Mauerbau weiter die S-Bahn in Westberlin betrieb – dort mit West-Mitarbeitern wie Götze. Aus dieser Zeit kann er viele absurde Geschichten erzählen. So wurden die West-Mitarbeiter von der DDR mit Westgeld bezahlt; wenn sie mal wegen einer Krankschreibung zum Arzt mussten, durften sie aber nur bestimmte Betriebspolikliniken aufsuchen. Und der Vizepräsident der S-Bahn war ebenfalls ein Westberliner. – Die DDR fackelte nicht lange, wenn es ans eigene Eingemachte ging. Als die Westberliner SBahner 1980 ihren Streik antraten, versuchte man, Götze als Streikbrecher anzuheuern. Als der sich weigerte, bekam er seine Papiere. Und das, obwohl die DDR sonst jeden Streik im ausbeuterischen Kapitalismus in den Nachrichten pries. Götze, geboren 1955 im Wedding, kann sich sogar noch vage an den Mauerbau erinnern, 1961 stand er mit seinem Opa an der Wollankstraße – »aber was da geschah, hab ich als kleines Kind natürlich noch nicht begriffen«. Nach der Kündigung 1980 wurde er Kundendiensttechniker für Kopiergeräte bei UBIX, bevor er sich 1986 selbstständig machte, zunächst mit einem Geschäft in Steglitz, das er bis 1996 betrieb – ab da konzentrierte er sich ganz auf das Geschäft in Spandau, das in diesem Jahr sein 30. Jubiläum feierte. Die Gewerbebescheinigung vom 3.8.1987 hat er bis heute aufgehoben: fein mit der Schreibmaschine geschrieben, sogar der Geburtsname der Mutter wurde aus unerfindlichen Gründen damals abgefragt.
Michael Götze ist ein humorvoller, wacher, in sich ruhender Mann, der nie den Überblick zu verlieren scheint. Das liegt vielleicht auch daran, dass er 24 Jahre bei der Freiwilligen Feuerwehr war. Selbst im Gespräch kann er immer noch Fragen seiner Mitarbeiter beantworten oder kurz was durch die Laminiermaschine jagen, ohne dass das irgendwie störend wäre. Der Ton hier ist trotz des Betriebs entspannt, das Team eingespielt. Trotz des turbulenten Betriebs wird es nie hektisch.
An Spandau mag Götze das viele Grün, das Wasser, registrierte aber nach dem Mauerfall – wie viele andere Spandauer auch – in den letzten 30 Jahren einen gewissen sozialen Niedergang. Viele, die es sich leisten konnten, zogen raus, ins Umland. Aber er ist neugierig geblieben, erkundet gern zu Fuß Gegenden: »So entdeckt man am besten.« Fuhr auch mal nach Marzahn am anderen Ende der Stadt – dorthin, wo einer seiner Mitarbeiter, ein junger Familienvater, sein Ziehenkel herkommt. Und war überrascht, dass dieser Ostberliner Bezirk, der gerade sein 40-jähriges Bestehen feiert, so grün ist. Das, was er sah, entsprach dem so oft verbreiteten Klischee grauer Plattenbau-Kasernen gar nicht. Ähnliche Entdeckungen machte er auch im Märkischen Viertel.

Um aber auf den Beruf zurückzukommen: Staunen kann Götze immer noch über die enormen technischen Weiterentwicklungen in den letzten 30 Jahren. Darüber könnte man stundenlang mit ihm fachsimpeln. Amüsiert erinnert er sich an die großen, schweren, komplizierten und vor allem sehr teuren Maschinen, mit denen Anfang der 80er noch kopiert wurde. Ob er noch ein paar Dinosaurier aus dieser Zeit aufbewahrt habe? Götze winkt ab, gar kein Platz dafür. Zu Hause habe er noch ein paar fernmeldetechnische Raritäten, aber auch da sei es eine Platzfrage. Nur da vorne rechts im Ladenraum, er zeigt durch eine kleine Art Durchreiche, steht ein uraltes Kopiergerät. – Sie haben es liebevoll bepflanzt.

Ulrike Steglich, Wilhelmstädter Magazin Nr. 5, Oktober/November 2017

Copyshop Spandau, Sedanstraße 8, 13581 Berlin, Tel. 3326616
www.kopierzentrum-spandau.de, Öffnungszeiten: Mo–Fr 9–18 Uhr, Sa 10–14 Uhr

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